Lektorenverband VFLL Lektorat first auf der Frankfurter Buchmesse 2016 Lektorat auf Knopfdruck

Technische Kompetenz zahlt sich aus: Interview mit Susanne Franz von Lektorat first

Das Lektorat kümmert sich um Inhalte, die Herstellung um die Technik – diese Unterscheidung ist mit der zunehmenden Digitalisierung von Verlagsprozessen überholt. Mehr denn je gilt heute: Lektoren müssen sich mit modernen Publikationstechnologien auskennen. Dokumentvorlagen und XML sind die Stichwörter, die manchem Textprofi noch immer den Angstschweiß auf die Stirn treiben – unnötigerweise, denn diese Werkzeuge machen die Lektoratsarbeit nicht komplizierter, sondern einfacher und effizienter. Das ist die Erfahrung der Gruppe Lektorat first, die sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt. Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse trat sie mit einer Podiumsdiskussion das erste Mal öffentlich in Erscheinung und diskutierte über ein „Lektorat auf Knopfdruck“. Im Interview erzählt Susanne Franz von Lektorat first mehr über die Arbeit der Gruppe.

Interview: Felix Wolf

Susanne, ihr nennt euch „Lektorat first“. Wer sich ein wenig mit medienneutralem Publizieren auskennt, denkt dabei sofort an die Begriffe XML first vs. Print first, hinter denen unterschiedliche technische Ansätze in der Medienproduktion stehen. Ist Lektorat first eine Antwort darauf? Ein dritter Weg?

Mit unserer Namenswahl nehmen wir diesen Ball zwar auf, mit unserer „Antwort“ wollen wir aber sicherlich keinen dritten oder gar neuen Weg anbieten. Uns kam es allein darauf an zu betonen, dass ein professionelles Lektorat eines Manuskriptes nach wie vor der erste, ganz wesentliche Schritt in einem Produktionsworkflow ist und die Qualität der zu veröffentlichenden Medien sichert – unabhängig davon, welche technologische Umsetzung dabei als „first“ gesetzt ist.

Was macht Lektorat first eigentlich? Worin genau besteht die Arbeit eurer Gruppe?

Wir sind eine Gruppe von acht Lektorinnen und Lektoren und arbeiten in unterschiedlichen Fachbereichen. Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit Dokumentvorlagen, XML-Workflows und den Chancen, die sich daraus für die Weiterentwicklung eines professionellen Lektorats ergeben, und treffen uns in regelmäßigen Abständen zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Außerdem sind wir immer wieder im Gespräch mit einem international tätigen Herstellungsbetrieb und informieren uns so über neue technische Entwicklungen am Markt. Auf der Buchmesse hatten wir nun unseren ersten öffentlichen Auftritt – und auch unsere Website www.lektorat-first.de ist jetzt online.

Auf eurer Website schreibt ihr über Publikationstechnologien und ihre Bedeutung im Lektorat: „Eine hohe Kompetenz in diesem Bereich ist für uns Voraussetzung zur professionellen Ausübung unseres Berufs“. Welche technischen Kompetenzen brauchen Lektoren denn nun konkret? Und wie tief müssen sie dabei ins Detail gehen?

Das Bestreben, automatisierte Publikationsworkflows einzuführen, gibt es seit Langem, und vor allem große Verlagshäuser arbeiten bereits sehr intensiv mit entsprechenden Technologien. Workflows, die bereits bei der Manuskripterfassung und ‑bearbeitung ansetzen, werden zunehmend auch bei mittleren und kleinen Verlagen eingesetzt. Das bedeutet, dass sich – natürlich – die Arbeit von Lektoren entsprechend verändert und technische Kompetenz zu einer Voraussetzung wird, um Manuskripte im geforderten Standard bearbeiten zu können.

Wie weit diese Fähigkeiten im Einzelnen gehen müssen, lässt sich unserer Meinung nach aber nicht allgemein beantworten, denn die notwendigen Qualifikationen hängen ganz entscheidend vom Workflow des Auftraggebers ab, sprich, mit welchen technischen Werkzeugen das Manuskript bearbeitet werden muss: Word-Dokumente, XML-Dateien oder gar schon aufbereitete InDesign-Satzdaten. Als Lektor muss ich in der verwendeten Technologie so weit zu Hause sein, dass ich die Anforderungen des Auftrags umsetzen kann. Doch je besser ich die Software kenne, desto produktiver kann ich die Tools und Funktionen einsetzen – und hier bieten sich oftmals Chancen, die eigene Arbeit über den konkreten Auftrag hinaus zu systematisieren.

Wie eignet man sich diese Fähigkeiten am besten an?

Wir empfehlen, sich diese Kenntnisse durch Fortbildungsangebote anzueignen, die auf die Verlags- und Publikationsarbeit ausgerichtet sind. Das können beispielsweise Seminare sein, die ja auch über den VFLL sehr zahlreich und auf professionellem Niveau angeboten werden. Gerade zum Einstieg scheint uns sinnvoll, sich das wichtigste Grundwissen auf diese Weise anzueignen. Denkbar ist natürlich auch, sich mit Kollegen kurzzuschließen, die das erforderliche technische Know-how bereits haben.

Enttäuschend verlaufen in der Regel allgemeine XML- oder Word-Einsteigerkurse, denn hier kommen die spezifischen Funktionen für die Manuskriptbearbeitung oft viel zu kurz. Das gilt im Übrigen auch für die entsprechende Literatur.

Geht ein stärkerer Fokus auf die technischen Aspekte des Lektorats auf Kosten der inhaltlichen Arbeit? Kann man sich denn überhaupt auf einen Text konzentrieren, wenn man die ganze Zeit mit Formatvorlagen, XML-Tags oder den Tücken eines Content-Management-Systems beschäftigt ist? Oder ist die Technik ein Gewinn, weil sie die Lektoratsarbeit erleichtert?

Hier vertritt Lektorat first einen ganz klaren Standpunkt: Wir sehen eher die Chancen. Zwar haben wir alle in unserem Berufsalltag schon mit Erfassungstools gekämpft, die technisch einwandfrei funktionierten, sich bei der Manuskriptbearbeitung aber als eher umständlich und einschränkend erwiesen. Denn nicht selten erarbeiten Herstellung und/oder Satzbetriebe eine Word-Dokumentvorlage, eine DTD oder ein XML-Schema. Damit liegt der Fokus auf der technischen Weiterverarbeitung der Manuskriptdaten, die praktische Handhabung durch Lektoren, die damit konkret die Texte bearbeiten müssen, spielt bei der Entwicklung keine so große Rolle.

Doch trotz gelegentlicher frustrierender Erfahrungen sehen wir viele Vorteile: So können beispielsweise Word-Dokumentvorlagen mit zusätzlichen, gut überlegten Funktionen eine ganze Menge an Komfort bieten, sodass man das Augenmerk verstärkt auf die inhaltliche Arbeit richten kann, die ja auch eine professionelle Strukturierung des Manuskripts einschließt. Und eine Reihe von Word-Funktionen ermöglichen darüber hinaus ein effektives Arbeiten – wenn man sie denn erst einmal entdeckt hat.

Was wir in unseren Diskussionen immer wieder festgestellt haben: Wichtig ist es, dass auch Lektoren bei Umstellungsprozessen mit ins Boot geholt werden – schon allein, um die Tools in der konkreten Textarbeit zu testen. Denn sollen die entwickelten Workflows auch von Lektoren mitgetragen werden, tun Verlage gut daran, sich produktiv mit diesem Feedback auseinanderzusetzen.

Wir haben bisher darüber gesprochen, welche Fähigkeiten Lektoren mitbringen müssen, um Verlage professionell unterstützen zu können. Wie sieht es denn auf der anderen Seite aus? Ein Problem in der Zusammenarbeit mit Verlagen kann sein, dass Lektorat und Herstellung kaum miteinander verzahnt sind. Unnötige Fehler und Arbeitsschleifen sind die Folge. Wie ist eure Erfahrung? Haben Verlage hier Nachholbedarf?

Gerade freie Lektoren haben sich durch ihre Mitarbeit an den unterschiedlichsten Projekten nicht selten ein breites Wissen angeeignet, das stellen wir in unseren Diskussionen immer wieder fest. Doch in den Verlagen findet die Kommunikation zwischen Herstellung/Satz und Lektorat über die entsprechenden Workflows nach unserer Erfahrung oft nur sehr spärlich statt.

Wichtig wäre jedoch, dass dort alle Beteiligten über den gleichen Informationsstand verfügen: Warum müssen wir das Manuskript auf diese Weise bearbeiten? Warum kann sich das Lektorat aus diesem Prozess nicht ausklinken? Welche Verantwortung liegt nach wie vor bei der Herstellung? Wie wende ich die Technologie an? Wer hilft bei Fragen? Wie können die Tools verbessert werden, sodass sie für Lektoren keine technische Gängelei, sondern ein gutes Werkzeug darstellen? Diese Fragen müssen geklärt und vor allem für alle befriedigende Antworten gefunden werden – und hier sehen wir tatsächlich noch die Notwendigkeit, diese Hausaufgaben zu machen.

Es sind vor allem die großen Verlagshäuser, die in den letzten Jahren auf medienneutrale Workflows umgestellt haben. Wie sieht es bei kleineren Verlagen aus? Können technisch versierte Lektoren hier sogar eine Beraterfunktion einnehmen?

Insgesamt sehen wir, dass immer mehr Verlage ihre Workflows unter die Lupe nehmen und digitale Prozesse anstoßen, schon allein aus Kostengründen. Das betrifft vermehrt auch kleinere Verlage. Dabei spielt zusätzlich eine Rolle, dass man mittlerweile auf ein vielfältiges und professionelles Angebot von spezialisierten Dienstleistern zurückgreifen kann.

Dass technisch versierte Lektoren bei Umstellungsprozessen beratend zur Seite stehen, können wir nur befürworten, aus Gründen, die bereits genannt wurden.

Kommen wir am Ende noch einmal auf Lektorat first zurück: Der Wunsch nach einem „Lektorat auf Knopfdruck“ ist also genau das Gegenteil von dem, was ihr mit eurer Initiative erreichen wollt?

Genau, denn nach wie vor liegt der Hauptfokus unserer Qualifikation bei der inhaltlichen Manuskriptbearbeitung – unabhängig vom technischen Medium, mit der sie ausgeführt wird. Was wir wollen, ist ein Lektorat mit technischer Kompetenz. Denn, wie gesagt, die Beschäftigung mit der Materie „Technik“ ist nicht lästig, im Gegenteil. Es ist interessant und spannend, neue Arbeitsmethoden für sich zu entdecken. Außerdem bietet eine professionelle Handhabung der Tools immer auch die Chance, viele Routineschritte bei der Manuskriptbearbeitung rationeller zu gestalten. Technische Kompetenz und rationelleres Vorgehen können sich letztlich im wahrsten Sinne des Wortes auszahlen.

Lektorat first sind:

Barbara Buchter

Susanne Franz

Walter Greulich

Claudia Huber

Sylvia Jakuscheit

Ulrich Kilian

Gunnar Radons

Gisa Windhüfel

Bild: Auf der Frankfurter Buchmesse 2016 diskutierten (v. l.) Gisa Windhüfel, Susanne Franz, Walter Greulich, Ulrich Kilian über das Thema „Lektorat auf Knopfdruck!?“. (© Lektorat first)

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